Mittwoch, 6. Juli 2011

Oliver Plaschka, Die Magier von Montparnasse


- Gott ist ein maßloser Angeber - das wissen alle hier an diesem Tisch. Der springende Punkt aber ist, dass dieser riesenhafte Walfisch Zeit, von der platten Schnauze bis zum Schwanz, in Gottes Vorstellung immer schon existierte. Die Schnauze bedingt die Finne, und die Finne bedingt die Fluke. Charmanterweise hat man uns aber nur die schlechtesten Plätze in dieser Vorstellung gegeben, und wir können immer nur einen Teil des Wals sehen, der gerade durch den Reifen springt. -

Ravi hat es geschafft. Trotz seiner jungen Jahre ist es ihm geglückt ein Engagement im berühmten Pariser Bobino zu erhalten. An sieben Tagen darf er, gemeinsam mit seiner bezaubernden Assistentin Blanche, die Zuschauer mit Zaubertricks an der Nase herumführen. Allerdings müssen die beiden einige Dinge abändern, bevor sie zu einer Pariser Attraktion der Goldenen Zwanziger werden können. Blanches Kostüm wird gekürzt und eher familiär angehauchte Nummern werden aus dem Programm gestrichen. Teilweise werden sie durch waghalsige Vorführungen ersetzt, die Ravi und Blanche noch nicht sonderlich gut gelingen. Der Zauberer zweifelt, ob sie wirklich unter diesen Bedingungen auftreten sollten. Seine Assistentin redet ihm jedoch gut zu und ermuntert ihn an seine Fähigkeiten zu glauben. Sechs Tage läuft die Show perfekt ab und löst Begeisterungsstürme aus. Besonders beliebt ist ein etwas längerer Trick, der im alten Ägypten spielt und an die Geschichte von Romeo und Julia angelehnt ist. Cleopatra und ihr geliebter Prinz befinden sich am Ende in Glassärgen, die sich mit Sand füllen. Mit der Hilfe raffinierter Beleuchtungstechnik und einem eingebauten Hebel, verlässt Ravi seinen Sarg unbemerkt, bevor dieser sich vollständig mit Sand gefüllt hat. Wie aus dem Nichts taucht der Prinz bzw. der Zauberer auf und befreit Cleopatra.
Doch während der siebten Vorstellung funktioniert der Mechanismus im Sarg nicht und Ravi droht tatsächlich zu ersticken. Um sich und seine Assistentin zu retten, muss er echte Magie anwenden und damit gegen die Regeln der Société verstoßen. Welche Konsequenzen das haben wird, weiß niemand. In diesem ganzen Durcheinander erinnert Blanche Ravi an ein Versprechen, dass er ihr vor sieben Jahren gegeben hat. Um es einzulösen, essen beide von einem scheinbar normalen Apfel. Doch damit gerät die Welt und die bekannte Zeitrechnung aus den Fugen. Blanche fällt zwar nur in einen ruhigen und langen Schlaf. Die restliche Menschheit erlebt jedoch, ohne es zu wissen, diesen Sonntag der letzten Vorstellung immer wieder. Und in dem kleinen Pariser Hotel, in dem der Zauberer nächtigt, treffen nach und nach sonderbare Gestalten ein, die irgendwie mit der Société in Verbindung stehen.
Was wollen sie von Ravi und Blanche? Wer ist eigentlich Mitglied der Société? Und wann wird die Zeit einfach wieder normal verlaufen?

Oliver Plaschka hat mit diesem Werk einen ruhigen und doch spannenden Fantasieroman geschaffen. Die wirklichen Magier jagen nicht spektakulär durch Paris und vollführen keine wundersamen Veränderungen, die von einem großen Feuerwerk begleitet werden. Sie beeinflussen Menschen und verändern so den Lauf der Dinge. Da die Veränderungen jedoch nur für einen Tag gelten und sich die menschlichen Protagonisten am darauffolgenden Tag an nichts erinnern können, gewähren die Magier hin und wieder einen Einblick in ihre Welt. 

Über diese Einblicke und ihre persönlichen Erlebnisse berichten die Figuren in Form einzelner Kapitel. So erschließt sich die gesamte Geschichte über die abwechselnden Berichte von Ravi, Blanche, den Hotelangestellten und den neu angereisten Magiern. Dabei überschneiden sich die Ereignisse jedoch nicht komplett, auch Eindrücke, die außerhalb der großen Handlung gesammelt wurden, werden wiedergegeben. Hier liegt meines Erachtens nach eine besondere sprachliche Stärke des Werkes. Plaschka schafft es den einzelnen Figuren nicht nur eine individuelle Sprache zu geben, sondern rüstet sie auch mit ihrem eigenen Humor und eine ganz eigene Sicht auf die Welt aus. Zudem zeichnet er das Paris der 1920er Jahre so wunderbar nach, dass man das Gefühl hat neben den Protagonisten zu stehen. Sie drehen sich kurz zur Seite, zwinkern und rennen los. Wer würde da nicht mitrennen? 
Und gemeinsam betrachtet man dann die Künstler und Literaten der damaligen Zeit mit einem Lächeln:

"Oder sollen wir Esmées Maler noch einen mit auf den Weg geben? Vielleicht wird er uns ja eins seiner wundervollen Bilder dafür geben, wie das mit der dicken Frau und dem Pudel drauf?"


Fazit: Ein rundum gelungenes Werk, dass, trotz des sich wiederholenden Sonntags, spannend ist und bis zum Schluss überraschende Wendungen bereit hält.


Roman
3. Aufl. 2010, 428 Seiten,

gebunden mit Schutzumschlag, Vorsatzkarten
ISBN: 978-3-608-93874-6

21,95 EUR

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