Dienstag, 21. September 2010

Rafael Horzon, Das weisse Buch

Inhalt:
Nach der Information des Verlags soll es sich hier um die Biographie des Autors handeln. Das mag auf der einen Seite zutreffen. Auf der anderen Seite handelt es sich aber gleichzeitig um die Schaffung eines kleinen (Kunst)Werkes, das in eine seltsame Gedankenwelt entführt. Horzon erzählt von seinen vielen Ideen, die den meisten Menschen wohl kurios erscheinen. Er gründet die Galerie berlintokyo und stellt dort „Kunstwerke“ nicht existierender Japanischer Künstler aus. Er baut ein Bücherregal, das das Billy-Regal vom Markt verdrängen soll. Danach ruft er eine Wissenschafts-akademie ins Leben, die für das Hören eins Vortrags Scheine ausstellt. Nach nur vier Besuchen erhalten die Studenten ihr Diplom. Ein Vortragsthema lautete zum Beispiel: „Musikarchitektur, Stil und Selbstironie im audiovisuellen Oeuvre der Pet Shop Boys“. Viele weitere erfolgreiche und erfolglose Geschäftsideen folgten.
Was aber alle Ideen gemeinsam hatten, ist der Glaube Horzons mit ihnen Geld verdienen zu können. Er ist ein Beispiel dafür, dass man, wenn man an Projekt glaubt und sie nur richtig vermarktet, oftmals Erfolg haben kann. Aber auch ein Rückschlag lässt ihn nicht generell an seinen Ideen zweifeln.
Zudem ist sein Buch eine kleine Zusammenstellung der wichtigsten Personen des Berliner Kulturlebens seit Beginn der 90er Jahre. Eine Vielzahl bekannter Designer, Autoren und Musiker tauchen in dem Text auf. Ihre Beziehungen zum Autor werden dargelegt und geben ein wunderbares Bild der Horzonschen Lebenswelt. Ob diese der Realität entspricht oder nicht, lässt sich nicht nachvollziehen.

Stil und Sprache:
Man sollte sich schon vor dem Lesen klar darüber sein, dass es sich hier nicht um eine normale Biographie und schon gar nicht um ein gut einzuordnendes Werk handelt. Die Sprache ist zwar einfach und klar und fördert damit einen guten Lesefluss. Man darf aber nicht ständig nachdenken, ob die Geschehnisse jetzt der Wirklichkeit entsprechen. Werden Träume oder wahre Erlebnisse beschrieben? Die klare Beantwortung der Frage ist unmöglich. Von dem Autor wird man die eine Wahrheit nie erfahren. Aber gibt es diese überhaupt? Jeder Leser wird die Beschreibungen anders interpretieren und werten. Gerade dieses innerliche Beschäftigen wird durch den Stil gefördert. Nüchterne Beschreibungen wechseln sich mit sonderbaren Begegnungen ab. Und alltägliche Handlungen bekommen einen surrealen Anstrich. Immer wieder steht auch die Frage im Raum was Kunst ist. Wie wird festgesetzt welchen monetären Wert ein Kunstwerk hat? Reicht der Name aus oder geht es wirklich um das Produkt?
Einigen Lesern mag dies zu anstrengend sein. Andere werden verwirrt sein. Befreit man sich aber von der Haltung eine Biographie oder einen Roman zu lesen, bilden Sprache, Stil und Geschichte eine fantastische Einheit, die lediglich durch die konsequente Nutzung von ss statt ß einen kleinen Riss erhält.

Fazit:
Für mich handelt es sich um ein sehr amüsantes Werk mit versteckten Hinweisen, philosophischen Aspekten und gesellschaftskritischen Fragen. Die wichtigsten Dinge stehen zwischen den Zeilen sind sind einer Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten unterworfen. Dies lässt auch die Frage zu, ob es sich bei diesem Buch nicht selbst um ein Kunstwerk handelt, das eigentlich keines sein soll. Oder ob nur ein Kunstwerk durch den Leser und seine Beurteilung entsteht.
Für aufgeschlossene Leser ist das Buch zu empfehlen.


Erschienen: 20.09.2010
suhrkamp taschenbuch 4226, 

Klappenbroschur, 
216 Seiten
ISBN: 978-3-518-46226-3 


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Bild und Fotos von der Verlagsseite (s.o.)

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