- Ich spürte, wie die Antwort auf diese Frage bereits an dem Haken knabberte, den ich in mein Unbewusstes hinabgelassen hatte. Nicht so verbissen darauf starren, dachte ich, denk an etwas anderes, oder tu zumindest so. -
Seit 1955 wird in Großbritannien der Dagger Award an die besten Krimiautoren verliehen. Er kann als wichtigster und bekanntester Preis der Kriminalliteratur angesehen werden und wird in einer nicht festgelegten Anzahl von Kategorien vergeben. Die Preisgelder sind in den letzten Jahren in vielen Kategorien erheblich gesunken. Die Aufmerksamkeit, die mit der Auszeichnung einhergeht scheint jedoch noch zu steigen.
Den Debut Dagger erhalten seit 1998 Autoren, die bisher noch keine Werke veröffentlicht haben. Um an dem Wettbewerb teilnehmen zu können, muss ein Auszug eingereicht werden, der 3.000 Wörter nicht übersteigt. Alan Bradley reichte 2007 ein Kapitel von "Flavia de Luce. The sweetness at the bottom of the pie" ein und gewann auf Anhieb. Zwei Jahre später erschien das komplette Buch und wurde sofort ein Erfolg bei den Lesern. Für sein Debüt erhielt Bradley im Jahr 2010 den Arthur Ellis Award (Kanada) den Agatha Award (Amerika) und den Dilys Award (englischsprachiger Raum).
Was ist so besonders an den Geschichten, die sich Alan Bradley ausdenkt?
Inhalt:
Die Geschichte spielt zu Beginn der 50er Jahre auf dem in Mittelengland liegenden Gutshof Buckshaw. Flavia de Luce ist elf Jahre alt und bewohnt den Hof gemeinsam mit ihrem Vater, den beiden älteren Schwestern und dem Gärtner Dogger. Täglich schaut auch die Haushälterin Mrs. Mullett vorbei und versorgt die Familie mit beliebten und weniger beliebten Speisen.
Harriet, die Frau von Colonel de Luce und Mutter der drei Mädchen, ist vor einigen Jahren gestorben. Dieses Ereignis hat den Hausherr in eine tiefe Depression gestürzt, die ihn beim Aufstehen packt und noch nicht einmal in seinen Träumen frei gibt. Ein dunkler Schatten liegt über der Familie, der sich nur ein wenig abwendet, wenn eine neue Briefmarke erscheint und sich der Colonel in heller Aufregung befindet.
Eines Tages wird ihm jedoch auf einem sehr ungewöhnlichen Weg eine Marke überbracht. Vor der Küchentür findet die Familie eine tote Schnepfe, auf deren Schnabel eine Briefmarke aufgespießt wurde. Colonel de Luce betrachtet sie und gerät nicht wie sonst in Verzückung, sondern scheint schockiert und ängstlich zu sein. Seltsam, so hat Flavia ihren Vater noch nie erlebt. Was steckt wohl dahinter? In der darauf folgenden Nacht hört sie ein Stimmengwirr und steigt aus ihrem Bett. Sie kann ein Streitgespräch zwischen ihrem Vater und einem fremden Mann belauschen. Doch gerade als es spannend wird und beide von einem Mord sprechen, taucht Dogger auf und schickt Flavia zurück in ihr Zimmer. Dogger, der sonst so verwirrt wirkt und manchmal wirres Zeug redet, scheint plötzlich sehr aufgebracht und wütend. Hat der Streit etwas mit der Briefmarke zu tun? Flavia begibt sich in ihr Zimmer und wirft vor lauter Wut ihr Grammophon an. Trotzdem fällt sie schließlich in einen unruhigen Schalf, der allerdings schon kurz vor vier Uhr beendet ist. Als sie kurz darauf in den Garten tritt, stolpert sie und landet bäuchlings auf dem nassen Boden direkt neben einem Mann, der gerade seinen letzten Atem aushaucht. "Vale!", röchelt er noch knapp. Es handelt sich um den Mann, der am Abend zuvor mit Mr. de Luce gestritten hat.
"Und dann diese absolute Stille.
Ich würde gerne behaupten, dass ich mich gefürchtet hätte, aber das stimmt nicht. Ganz im Gegenteil. es war das mit Abstand Spannendste, was ich je erlebt hatte."
Flavia gibt Dogger Bescheid und die Polizei wird alamiert. Ein Inspektor erscheint mit seinen Kollegen und beginnt mit einer Untersuchung. War das ein Fehler? Flavia erkennt schnell, dass die Polizisten anscheinend etwas unfähig sind und beginnt daher mit ihren eigenen Ermittlungen. Die zum Spaß betriebenen Forschungen werden sehr schnell zu einer ernsten Tätigkeit, weil ihr Vater als Hauptverdächtiger verhaftet wird.
Kann ein elfjähriges Mädchen einen Mordfall aufklären?
Zu der Figurengestaltung:
Flavia ist kein normales elfjähriges Mädchen. Sehr schnell wird klar, dass sie ein besonderes chemisches Talent hat und hin und wieder mit Giften hantiert, die sie in ihrem eigenen Labor herstellt und anschließend an ihren Schwestern testet. Sie ist sehr pfiffig und wortgewandt. Doch manchmal blitzen Lücken in ihrem Verständnis auf, die dem Leser vor Augen führen, dass es sich um ein Kind handelt, welches zwar klug ist, aber bisher nur wenig Lebenserfahrung sammeln konnte.
Trotzdem zeichnet Alan Bradley ein sehr liebevolles Bild von Flavia und beleuchtet auch in Ansätzen ihr Gefühlsleben.
Dogger spielt in Flavias Leben eine sehr wichtige Rolle und ist ihr in manchen Momenten wichtiger als ihr Vater, der eher eingeigelt lebt und keine zärtliche Beziehung zu seinen Kindern aufgebaut hat. Man sollte diesbezüglich jedoch beachten, dass die Geschichte in den 50er Jahren spielt und somit andere Rollenbilder die Grundlage für die Beziehungen bilden.
Der Colonel und Dogger sind über ein unsichtbares Band verbunden, dass im Krieg und aufgrund gemeinsamer Erfahrungen gesponnen wurde. Diese Erlebnisse sind auch für das sonderbare Verhalten Doggers verantwortlich. Er scheint manchmal mit Geistern zu sprechen oder interpretiert Situationen falsch. Heute würde man sagen, dass er an PTBS leidet.
Genauso wie der Inspektor, scheinen auch die anderen Figuren aus einem klassischen englischen Krimi entsprungen zu sein. Mich persönlich hat erstaunt wie gut Bradley diese Atmosphäre neu erzeugen konnte. Und damit sind wir auch schon bei dem nächsten Thema.
Stil und Sprache:
Der vom Autor abgesteckte Rahmen orientiert sich auf jeden Fall an Krimiklassikern. Das lässt sich sehr gut an den Figuren und den Haupthandlungen erkennen. Gleichzeitig stellt Bradley jedoch ein ungewöhnliches Mädchen in den Mittelpunkt und beschreibt die Ermittlungen aus ihrer Sicht. Dies wirkt dann wieder so modern, dass man sich beim Lesen manchmal fragt warum die Menschen so einen altmodischen Eindruck vermitteln. Ach ja, wir befinden uns ja in der Nachkriegszeit! Zudem sind manche Wendungen so sonderbar, das sie aus dem Klassikerkonzept ausbrechen. Sie wirken aber nie falsch oder konstruiert, da sie haargenau zu Flavias Charakter passen. In diesem Zusammenhang sollte man erwähnen, dass das elfjährige Mädchen auch wirklich im Mittelpunkt der Geschichte steht. Alles ist auf sie ausgerichtet und manche anderen Figuren erscheinen daher etwas schemenhaft.Die Sprache des Textes wirkt nicht altbacken, sondern stellt einen guten Mittelweg zwischen den damaligen Ausdrucksformen und dem modernen Vokabular dar. Zudem ist der Satzbau recht unspektakulär und erlaubt so ein zügiges Lesen. Einzig die chemischen Details könnten ein paar Leser abschrecken. Flavias Weisheiten entschädigen jedoch für wenige langatmige Ausführungen.
Fazit: Ein ganz außergewöhnlicher Krimialroman mit einer Figur, die man nur lieben kann. Ich werde Flavia auf jeden Fall erneut begleiten.
Originaltitel: The Sweetness at the Bottom of the Pie
Originalverlag: Orion, London 2009
Aus dem Englischen von Gerald Jung, Katharina Orgaß
Deutsche Erstausgabe
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 384 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
ISBN: 978-3-7645-3027-3
€ 19,95 [D] | € 20,60 [A] | CHF 30,90* (empf. VK-Preis)
Verlag: Penhaligon
Link zur Autorenseite, Link zur Verlagsseite
Link zur Flavia-Seite
Witzig, witzig – ich habe deine Rezension eben in meinem Feedreader entdeckt, nachdem ich selbst gestern meine Rezension zum Buch gepostet habe. Du beschreibst die Handlung ja sehr ausführlich, aber ich kann dir weitgehend zustimmen. Ich habe lange mit mir gehadert das Buch überhaupt zu kaufen, weil »gehypte« Bücher mich immer etwas abschrecken, dann hatte ich es bestellt und es lag noch einige Woche im Regal ehe ich es dann letztlich gelesen habe – dann hat es mich aber so sehr begeistert (nicht weil es so spannend war, dazu mehr in meiner Rezension) das ich umgehend Bd. 2 gelesen und heute beendet habe. Meine Rezension dazu folgt hoffentlich in Kürze :D Hast du auch schon Bd. 2 da oder sogar schon gelesen?
AntwortenLöschenOh, dann schaue ich gleich mal rüber! Ich hatte den zweiten Band gewonnen und auf meinen SuB gelegt. Dann habe ich den ersten Band entdeckt und ihn gekauft. Na ja, du kannst es dir denken. Er landete auch erst einmal auf dem SuB. Nun ist der Anfang gemacht und da Band drei bald erscheint, muss ich den zweiten Band wohl sehr bald lesen. Aber erst einmal freue ich mich auf deine Rezi!
AntwortenLöschenhallo charlene,
AntwortenLöschenich habe hier einen award für dich :-)
http://angelas-buecherregal.blogspot.com/2011/06/blog-award-3.html
lg angela
Ich liebe dieses Buch! Da hast du echt tolle Zitate rausgesucht. :)
AntwortenLöschenSchade, dass es noch so lange dauert, bis der zweite Teil als Taschenbuchausgabe herauskommt... :(
liebe Grüße,
Steffi
@Angela Dankeschön!
AntwortenLöschen@Steffi Ich habe zum Glück ein Leseexemplar gewonnen. Und nur deshalb habe ich ehrlich gesagt den ersten Band gekauft :o)