Sonntag, 28. November 2010

Der Kosmos Kaminer oder "Meine kaukasische Schwiegermutter"

Wenn man von einem Autor so begeistert ist, dass man fast alle Werke von ihm liest, findet man oft Gefallen an dem Stil, mag die Figuren oder verbindet mit ihm eine eigene Geschichte.
Wladimir Kaminer und ich haben eine eigene Geschichte, die allerdings nur ich kenne.
Während meiner Abiturphase habe ich einige Freistunden in der schuleigenen Bibliothek verbracht. Die Bibliothekarin war ein kleiner netter Drache. Entweder hat man sie gemocht oder gehasst. Ich fand sie sehr nett und angenehm. Sie war kulturell sehr beflissen und kannte so gut wie alle aktuellen Berliner Theaterinszenierungen. Gleichzeitig hatte sie aber auch ein gutes Gespür für interessante Literatur. Sie versuchte regelmäßig aktuelle und gute Werke für die Bibliothek zu bekommen. Als ich ihr eines Tages von meinem Auszug aus der elterlichen Wohnung berichtete und ihr erzählte, dass ich nun direkt an der Grenze zum Prenzlauer Berg wohne, empfahl sie mir Wladimir Kaminer. Aus ihrer Sicht schafft es keiner den Kiez so lebendig und witzig zu beschreiben. Ich begann also die Russendisko zu lesen. In einem Freiblock habe ich dies natürlich nicht geschafft. Das Buch wurde aber für mich bereitgelegt und ich las es in der Woche darauf bis zum Schluss. Ich musste mich häufig zusammenreißen, um nicht in der Bibliothek zu lachen. Der Schreibstil von Kaminer ist zwar einfach und dadurch leicht verständlich, doch befindet sich unter der Schale immer auch ein ironischer Aspekt, der sich mit Politik und Gesellschaft beschäftigt. Allerdings ist jedem Leser selbst überlassen, ob er diese zweite Schicht sehen bzw. lesen möchte. Oder existiert diese Schicht gar nicht und ich interpretiere mehr in seine Texte hinein, als da wirklich ist? Dieses Rätsel konnte ich auch nach über zehn gelesenen Büchern nicht lösen. Doch darin liegt auch ein gewisser Spaß, den die einfachen Texte dem Leser bereiten können. Und tatsächlich schafft er es wie kein zweiter Autor die witzigsten Persönlichkeiten, die es rund um die Schönhauser Allee gibt zu beschreiben. Er berichtet aber auch von seiner Familie, von Erlebnissen mit Verwandten, seiner Einreise nach Deutschland, über den Mauerfall und seinen eigenen Erfahrungen in Russland. In seinem aktuellen Buch "Meine kaukasische Schwiegermutter" geht es zum Beispiel um kaukasische Eigenarten im Bereich der Weinherstellung, des Waffenbesitzes oder der Kleidung. In den Texten vermischen sich eigene Erfahrungen (auch aus der Vergangenheit), Familientraditionen und sicherlich auch einige fiktionale Teile. Beim Lesen der einzelnen Kapitel hat man das Gefühl auf dem Hof der Schwiegermutter zu sitzen und den Geschichten der älteren Generation zu lauschen. Dieses Gefühl wird noch eindringlicher, wenn man Wladimir Kaminer während einer seiner Lesungen erlebt. Da er früher seine Kurzgeschichten auf Kleinkunstbühnen vorgelesen hat und schon für Fernseh- und Radiostationen arbeitete, hat er ein ausgesprochenes Talent ein Publikum für sich zu gewinnen. Unbekannte und bekannte Geschichten werden vorgelesen und spontan mit kleinen Anekdoten gespickt. Der russische Akzent des Autors, den er nach zwanzig Jahren wahrscheinlich nur noch aus Imagegründen beibehält, macht eine solche Veranstaltung auch zu einem Hörerlebnis. Die Geschichten hören sich aus seinem Mund ganz anders an und wirken dabei viel realistischer und origineller.
Stellenweise wird jedoch von Kritikern darauf hngewiesen, dass viele politische Aspekte und einige Aussagen dem Ernst der Lage nicht entsprechen oder nicht korrekt, teilweise auch verklärend oder diskriminierend sind. Ich habe das ehrlich gesagt nie so gesehen bzw. habe ich wahrscheinlich an den entsprechenden Stellen die Wörter nicht ernst genommen. Vielleicht bewege ich mich in literarischer Sicht auch auf anderen Ebenen. Immerhin bin ich ein großer Fan von Michel Houellebecq und bin so gesehen vielleicht schon etwas "abgehärtet".
Persönlich kann ich die Bücher von Wladimir Kaminer und besonders seine Lesungen nur empfehlen. Besonders möchte ich euch das aktuelle Buch ans Herz legen, für das es auch einen Videotrailer gibt.
Und wer Lust auf russische Musik hat und den Autor einmal am Plattenteller erleben möchte, kann sich auf seiner Seite über diverse Veranstaltungen informieren.

Ich wünsche euch viel Spaß beim eventuellen Lesen der Werke.

ORIGINALAUSGABE
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 
224 Seiten, 12,5 x 18,7 cm ISBN: 978-3-442-54656-5
€ 17,99 [D] | € 18,50 [A] | CHF 30,90* (empf. VK-Preis)empfohlener Verkaufspreis

Verlag:
Manhattan

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2 Kommentare:

  1. Ach, das nehme ich mir schon so lange vor, mal was von ihm zu lesen, weil er in den meisten Interviews, die ich kenne, einen so genialen Humor zeigt. Jetzt, nach deinem Artikel hier, ist das Gefühl noch dringlicher geworden. ;)

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